Konflikten mit System begegnen

Am letzten Novemberwochenende hatten wir die Gelegenheit einen tieferen Einblick in einige Grundthemen des Systema zu erhalten. Auf Wunsch und Engagement von Igor hin war Andreas Weitzel aus Augsburg der Einladung nach Hamburg gefolgt und bescherte uns zwei volle Tage lang einen intensiven Austausch mit der russischen Kampfkunst.

Andreas Weitzel hatte bereits seit dem Kindergartenalter einen weiten Weg in den verschiedensten Kampfkünsten beschritten, bevor er Ende der neunziger Jahre mit dem damals weitgehend unbekannten Systema in Kontakt kam. In wenigen Jahren formte sich das Lernen zum Lehren und heute ist er Ausbilder für viele Lehrer in Deutschland und Österreich.

Zu Beginn wurden die Unterrichtsziele in theoretischer Form dargelegt. Die größte Aufmerksamkeit an diesem Wochenende sollte den drei großen Säulen des Systema gelten: Der physischen Form, der Psyche, also dem Zustand und insbesondere der Atmung als verbindendes Element. Das Verständnis der systemischen Methodik war Kern aller Übungen.

Nach einem umfassenden Entspannungs- und Lockerungsteil mit dem Augenmerk auf ökonomischen Bewegungen, erhielten wir eine Erklärung zur richtigen Atemweise im Systema. Durch die Nase ein, durch den Mund aus. Beides gleich lang. Klingt erst einmal recht normal. Besonders aktiviert dabei wurde jedoch das Zwerchfell. Und so wirkt es im ersten Moment, als würde die Luft beschleunigt heraus gepustet werden. Vor allem unter Belastung ist dies sehr deutlich hörbar. Ähnlich eines Gewichthebers bevor er stemmt, doch ohne den Fehler vieler Kraftathleten, die Luft anzuhalten.

Es galt immer und ohne Ausnahme zu atmen. Egal wie hoch die Belastung sei, egal wie stark die Anstrengung wäre und, was auch immer passieren sollte, angepasst an die jeweilige Situation. Die Atmung diente als Rüstzeug, um den Druckausgleich im Körper herzustellen und ebenso als Entspannungsbaustein, um den Geist zu beruhigen.
Nach der Luft ging es ans Luft nehmen, besser gesagt dem Verhindern desselben. Hier zeigte sich bereits, wie sinnig strukturiert das Seminar aufgebaut war. Der Schlag entsprach Eins zu Eins einer ökonomischen Bewegung am Boden zuvor und die Weise mit einem Treffer zu interagieren entsprach der unmittelbar bevor behandelten Kultivierung des Atems.

Andreas Weitzel gab uns seine Kenntnisse auf eine sehr besonnene und ernsthafte Art weiter, die aber keinesfalls frei von Humor war.

Nach der Pause folgte eine Darstellung der Richtungsgebundenheit muskulärer Arbeit. Im Anschluss ging es in den Austausch mit Partnern. Wir erhielten eine einfache und effiziente Methode sich aus Griffen zu befreien, mithilfe der direkten Ansteuerung der Wirbelsäule des Gegenübers und einer späteren Erweiterung, ebenso bei Schlagangriffen oder anderen offensiven Annäherungen.

Von der vollen Kontaktdistanz, wurde in die mittlere Distanz gewechselt. Nach einer Erläuterung über die Vorhersehbarkeit von klassischen Schlägen, zeigte uns Andreas Weitzel eine (vielleicht Lieblings-) Idee, mit heran nahenden Extremitäten umzugehen. Ein Schlag, Block oder besser: Behandeln eines Armes/Beines an der dafür sinnigsten Stelle, um einen Angriff zu neutralisieren. Dafür wurde der Ellenbogen seitlich angehoben und der Unterarm in einer zirkulären Aufwärtsbewegung auf eine senkrecht fallende Linie über dem Ziel nahe der Ellenbogengrube gebracht. Diese Technik sollte uns noch den Rest des Tages begleiten und kehrte natürlich auch am nächsten Tag in den Raum zurück. Der Unterricht klang aus mit einer kleinen Feedbackrunde, welche die Teilnehmenden mit einem guten Gefühl in den Abend entließ.

Der zweite Abschnitt am Folgetag drehte sich rund um das Messer. Die Besonderheiten, Prämissen und vor allem Abstriche bei bewaffneten Auseinandersetzungen (man wird höchstwahrscheinlich getroffen werden) wurden wie am Vortag zuerst in ruhiger Runde erläutert. Dann wurde es schweißtreibend.

Mit einer reduzierten Atemkonditionierung wurden Körper und Geist ausgiebig unter Druck gesetzt, um diesen dann aktiv wieder zu senken. Es galt den Atemrhythmus den Laufschritten anzupassen. Ein Schritt ein – ein Schritt aus, zwei Schritte ein – zwei Schritte aus usw. hoch bis zehn. Es wurde so weit wie möglich ohne Atem gegangen, um dann mit Atmung laufend den Körper wieder zu entspannen. Auf den Boden und wieder herauf im Takt von vier Schritten, drei, zwei bis hin zu einem Schritt. Langsame Sätze von Liegestützen, Kniebeugen, Bauchaufzügen & Beinhebern. Dann schnell, dann ohne zu atmen. Wie gesagt schweißtreibend. Die Tagespause war eine willkommene Ergänzung.

Die folgenden Partnerübungen schulten das Timing für die Positionierung und ein Gefühl für die Distanz zum Messernutzer. Bei der einen begab man sich auf die leere Seite eines messerschwingenden Armes, bei der nächsten galt es den Abstand zum Partner immer gleich, kurz außerhalb, der kritischen Distanzlinie der bewaffneten Person zu halten. Kombinierend mit diesen Übungen, wurde dann in die Konterarbeit übergegangen und die Essenz des Seminars konnte in Anwendungen mit einfließen. Dabei durfte eine schöne Behandlung des messerhaltenden Armes selbstredend nicht fehlen. Ein reger Austausch erfüllte den Übungstag bis in den späten Nachmittag hinein, bevor Andreas Weitzel seine Reise fortsetzte und wir uns, mit einer geballten Ladung Wissen angefüllt, von ihm verabschiedeten.

Es war sehr schön, sich in einer wachen Atmosphäre dem Systema nähern zu können. Auch die beiden Gäste vom Systema Robert und Oliver trugen viel dazu bei. Igor hat eine vorzügliche Wahl getroffen und seine Idee mit Leben gefüllt.

Wir bedanken uns ganz herzlich für die lehrreichen und angenehmen Stunden bei Andreas Weitzel, zu dem in Sachen Systema alle Wege im deutschsprachigen Raum hinführen und systemagemäß, also natürlich, auch wieder vorbei.

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